Reise in die Drachenwelt
 

Tja - jetzt sitze ich hier, liege im Sand, der noch warm ist von der Sonne des Tages. Ich habe
mich an einen Strandkorb angelehnt, den Strandkorb mit den Nummer "195 W" und schaue
auf das ruhige Meer hinaus.
Am Horizont versinkt gerade die Sonne -- taucht unter, hinter einer Stadt, deren Namen ich nicht kenne....
Ein paar Wolken ziehen vorüber -- langsam mit aller Zeit der Welt lassen sie sich treiben und
ziehen fernen Gebieten entgegen. In der Ferne spielen ein paar Kinder und lassen ihr Lachen
hören und ärgern ein paar Möwen, die mit lautem erbostem Kreisen den Boden verlassen und
sich in die Lüfte erheben --- auf zu den Drachen, die weiter hinten von ein paar junggebliebenen
Vätern in den Himmel getrieben werden.
Überall scheint Zufriedenheit zu herrschen -- scheinen sich die Menschen zu freuen und
glücklich zu sein mit ihrem Leben.....
Ob sie ahnen, daß es unter ihnen jemanden gibt, der aus einem anderen Grund heute hergekommen
ist, der so anders fühlt als sie???
Ob sie wissen, daß hinter dem Strandkorb mit der Nummer "195 W" jemand sitzt, der es einfach
nicht mehr daheim ausgehalten hat --- "raus mußte --- und jetzt versucht hier etwas Zeit
zum Nachdenken zu finden?? Die Sonne ist jetzt fast ganz verschwunden und immer mehr Leute
verlassen langsam den Strand..... ein kalter Wind ist aufgekommen und ich habe immer mehr
Mühe, die zahlreichen Sandkörner vor meinem Füller wegzupusten, denn ich will versuchen
meine Gefühle und somit einen Teil von mir aufzuschreiben. Ich erwarte nicht, daß mein Schmerz
dadurch besser wird -- Worte sind viel zu schwach um viel zu bewirken --- aber ich hoffe, daß mir
vielleicht etwas klarer wird, das ich einfach bisher noch nicht begreifen kann --- begreifen will.......
Ich bin lange an diesem Strand entlang gelaufen und habe in die Gesichter der Menschen geblickt, die
mir entgegenkamen. Ich habe viele verliebte Pärchen gesehen, die Hand in Hand im seichten Wasser
nebeneinander liefen.... und jedesmal überzieht ein kalter Schauer mein Herz, wenn ich das Glück
dieser Leute erkennen, das ich auch einmal hatte --- vor tausend Jahren -- als ich noch glücklich sein durfte......
Doch nun ist der Strand fast ganz verlassen -- die letzten Drachen werden eingefangen --- die
letzten Sandburgen noch schnell perfektioniert und selbst das Wasser zieht sich langsam zurück und
läßt den Strand allein.
Ich schaue mich um und sehe, daß nur noch ein alter Mann kurz hinter mir in seinem Strandkorb
sitzt und den Möwen zusieht. Er hat eine Decke über sich gelegt, denn es ist kalt geworden.
Mich stört das nicht, denn meine Kälte ist anders --- SCHLIMMER.
Ich komme mir fast selber vor, wie dieser Strand -- eben noch voller Leben --- voller Freude
und Unbeschwertheit ---- und auf einmal --- dann --- ist alles so leer , so einsam und kalt.
Wie lange ist es her, als für mich das letzte Mal die Sonne schien?

Ich würde jetzt -- hier -- so gerne mit Dir an diesem Strand entlanglaufen. So gerne würde ich einen
Drachen mit Dir steigen lassen oder einfach nur im Sand liegen, der Sonne nachschauen und dabei mit
Dir träumen.....

Der alte Mann ist immer noch da, obwohl ich ihn kaum noch sehen kann, denn es ist mittlerweile schon
sehr dunkel geworden --- ob er vielleicht erahnt, was mich bewegt?
Weiß er, wie ich mich danach sehne, mit Dir diesen Strand zu teilen und das wir einfach glücklich sein
können und alles andere hinter uns lassen......
Wie schön wäre das.... und ich nehme mir vor, heute davon zu träumen, denn in meinen Träumen
bist Du noch immer bei mir.....
Deshalb verlasse ich jetzt meinen Strandkorb, dessen Nummer ich mittlerweile nicht mehr lesen kann......

Auf dem Weg zum Auto habe ich mir einen kleinen braunen Teddybären gekauft, denn ich brauche
jemanden, den ich umarmen kann ---- bin wieder ein Kind, das ohne sein Schmusetier die Furcht der
einsamen Nacht nicht ertragen kann.

Ich bin gestern Abend noch lange durch die Orte gefahren und habe einen Platz zum Schlafen für
mich gesucht --- es war nicht leicht und so bin ich einfach einen langen Feldweg entlanggefahren, habe
meinen Wagen auf einem abgemähten Feld geparkt, meinen kleinen Teddybären in den Arm genommen, mich
in meinen Schlafsack gekuschelt und versucht etwas Frieden zu finden.....
Doch es ging nicht --- zuviele Fragen und Ängste beschäftigen und quälen mich noch
heute ---- nichts habe ich vergessen.....

Weißt Du, daß ich gestern die Karte aus Deinem Urlaub bekommen habe....? Es hat mich sehr traurig
gemacht als ich sie gelesen habe, denn es ist eine Botschaft aus der Vergangenheit --- aus meiner
besseren, glücklicheren Zeit ---- als wir noch zusammengehörten ---- als alles noch so schön war....

Es tut mir weh, denn ich weiß, daß es den Menschen, der das geschrieben hat nicht mehr für mich
gibt, daß sich dieser Teil von Dir vor mir zurückgezogen hat.
Wie gerne hätte ich damals --- vor tausend Jahren --- diese Karte von Dir bekommen.... heute jedoch
wirkt sie wie ein weiterer tiefer Schnitt in mein Herz.....

Es war nicht einfach diese Nacht zu überstehen --- die Rückbank meines Autos ist einfach zu
klein --- doch plötzlich erinnere ich mich an einen Moment, wo gerade diese Rückbank für uns beide
genug Platz bot, um miteinander zu schmusen --- um glücklich zu sein....... und ich fange an, nach
einem Haar von Dir zu suchen, etwas, das mir beweist, daß es nicht nur Phantasien eines Träumers
waren , daß es Dich wirklich gegeben hat....... doch ich finde nur die weißen Fuseln meines
Schlafsacks, die wie nie tauende Schneeflocken hier überall zu finden sind.

Und dieser neu angebrochene Tag macht mir auch keinen neuen Mut -- macht mir keine neue
Hoffnung, denn es ist kein schöner Morgen....
Der Himmel ist grau verhangen und ein starker Wind bewegt die letzten Reste des gemähten
Grases und läßt sie um mein Auto herumtanzen, in dessen eisernem Käfig ich jetzt sitze und
suche..... suche an ALLEM....
In der Ferne sind Autos zu hören, die über die Straße jagen... und etwas näher ist ein Bauer damit
beschäftigt irgendwelche Feldfrüchte zu ernten, nachdem ihm vorher dieses alleinstehende weiße
Auto aufgefallen ist und er einen Blick durch mein Fenster geworfen hat, auf jemanden, den
es eigentlich gar nicht mehr gibt.......

Und ich breche wieder auf --- denn bisher habe ich noch nicht den Ort gefunden, den ich suche.....
Ich fahre wieder durch die Orte und versuche ihn zu finden und dabei fahre ich manchmal im Kreis
und komme an Stellen heraus, die ich schon kenne.
Ich glaube in Wirklichkeit bist Du es, die ich suche und wiederfinden möchte und meine Gedanken
sind die Mittel, mit denen ich diese Suche vollführe --- und auch sie drehen sich im Kreise und gelangen
so oft wieder an die Stellen, die mir vorher schon keinen Trost geben konnten und die ich vielleicht
nie ganz erfassen werde ---- und vielleicht muß man nicht alles wissen und verstehen ----- vielleicht
braucht jeder eine kleine Welt voller Geheimnisse in seinem Leben um der tagtäglichen Monotonie
etwas zu entfliehen --- um sich etwas von den fragenden Kinderaugen zu bewahren, die alles wissen
wollen --- vielleicht braucht man das um RICHTIG ZU LEBEN......

Inzwischen habe ich wieder einen Ort gefunden, an dem ich eine kurze Zeit verweilen möchte.
Ich habe mein Badetuch genommen und es unter einer großen Birke ausgebreitet, deren Äste sich weit
über einen kleinen Fluß ausbreiten, der vor meinen Füßen fließt.
Hinter mir ist der Deich, der mich vor dem starken Wind der See schützt, dessen Kraft ich bereits
gestern gespürt habe. Ab und zu kommen ein paar Leute vorbei und werfen mir fragende Blicke zu....
sie stören mich nicht, denn ich bin weit gewandert --- auf Pfaden, die sie nicht sehen können ---- die
mich zu Dir und in die Vergangenheit führen....

Ich erinnere mich ---- wir haben uns nie gestritten --- es gab nie ein böses Wort zwischen uns ---- und
es war nie langweilig sondern es war immer wieder neu mit Dir......
Vielleicht hast Du gewußt, daß es anders geworden wäre, weil Du etwas verloren hast, was ich noch
immer so tief in mir spüre..... Vielleicht wußtest Du es und wolltest unser gegenseitiges Vertrauen nicht
aufs Spiel setzen, wolltest nur soweit rückwärts gehen, wie es nötig ist, um bei der letzten Kreuzung
einen anderen Weg einzuschlagen. Aber es ist manchmal auch nötig gemeinsam schwere Zeiten
durchzustehen --- und in irgendeiner Weise tun wir das ja auch.....

Aber ich habe den Eindruck ich bin diesen Weg schon viel zu weit gelaufen --- habe nicht
gemerkt, daß Du langsam hinter mir zurückgeblieben bist, denn ich wollte immer schneller und
schneller dem Regenbogen entgegenlaufen.... und jetzt habe ich Angst, daß ich den Weg zurück
vielleicht nicht wieder finde.....

Ich habe schon viele Beziehungen auseinanderbrechen gesehen --- aus den verschiedensten
Gründen --- habe schon oft schlimme Worte gehört und selber kann ich auch auf ein paar persönliche
Erfahrungen zurückblicken..... aber nie war es vergleichbar mit uns.....

Sicher tat es uns beiden(!) weh --- und wir haben uns in die Arme genommen und wollten ganz nah
beieinander sein --- habe uns die Tränen gegenseitig aus dem Gesicht gestreichelt und haben miteinander
geredet über unsere Gefühle. Und selbst hier fielen keine bösen Worte und es gab keine
Vorwürfe --- keinen Zorn...... aber auch keinen Trost --- keine Hoffnung für mich.....
Hätte uns jemand gesehen, hätte er wohl eher gedacht, daß es nur ein Abschied für eine lange Reise ist.....
und selbst wenn man ihm gesagt hätte, daß es eine Trennung ist --- er hätte wohl nicht gewußt, von
wem dabei die Initiative ausgeht ---- wer sich unsicher geworden ist.....
Ich habe nicht gewußt, daß eine Liebe nicht nur mit einem Kuß anfangen, sondern auch enden kann.......

Es war und ist ein schwerer Weg, den wir gegangen sind und auf dem wir uns noch immer befinden....
aber ich glaube es ist der einzige Weg, der einem für die kommende Zeit keine Hindernisse aufzeigen
will --- egal was noch sein wird ---- was sein darf.....

Manchmal glaube ich, es gibt viele Menschen, die von uns etwas lernen könnten --- über
Menschlichkeit, Liebe Wärme und Trauer.....

Ich glaube es ist jetzt Zeit für mich, meinen Platz unter der Birke zu verlassen und mir einen neuen
Ort zu suchen, wo ich weiterschreiben kann, denn ich habe über mir ein eingeritztes Herz
entdeckt ---- und dieses Herz will ich nicht stören.......

Und wieder bin ich lange lange gefahren ---- habe weitergesucht......, bis ich mich entschlossen
habe, wieder zum Strand zu fahren --- meinen alten Strandkorb zu suchen --- den mit der Nummer
"195 W" und einfach weiterzudenken.
Leider habe ich "meinen" Strandkorb nicht gefunden und mußte mich so -- mit meinem Teddybären in
der Hand --- so in den Sand setzen..... Irgendwie bin ich vorhin an den Läden vorbei gegangen und wollte
mir einen Drachen kaufen --- wollte ein Zeichen in den Himmel setzen und den Drang des Drachens
spüren, der der Freiheit entgegenstrebt.... leider habe ich viel zu wenig Geld mit ---- und so ist wieder einmal
ein Traum geplatzt..... Ich frage mich, wie es wäre, wenn wir beide hier zusammen wären und einen dieser
munteren Gesellen in die Lüfte helfen würden.... es wäre sicherlich wunderbar...... aber darf ich daran
eigentlich denken?? Darf ich davon träumen....?
Ich glaube ich werde mich nie trauen Dich das zu fragen, denn ich weiß nicht, was ich aufgegeben muß
mit Dir ---- bei Dir ---- denn ich weiß nicht, was ich für Dich bin, was ich für Dich sein werde ---- wie
Du UNS definierst.....

Einst --- vor tausend Jahren --- war ich selber ein Drachen; und ich stieg höher und höher, überflügelte
alles und blicke auf eine wunderbare Welt hinab......
Ich flog immer höher, denn Du hieltest mich --- hast mir die Kraft gegeben der Sonne entgegenzufliegen.......
Ich wollte zu den Sternen ----- wollte sie greifen ---- sie anfassen ---- doch plötzlich hast DU mich
losgelassen...... und ohne einen Halt können Drachen nicht fliegen.......

Warum?
Warum kann die Welt nicht einfach doch eine Scheibe sein?
Dann könnte ich einfach nur einen Schritt machen und alles würde sich verändern.....
Warum habe ich nach den Sternen gegriffen?
Warum habe ich es so schwer im Leben?
Warum brauche ich Dich so?
Warum können Drachen nicht alleine fliegen....... ?

Ich denke ich habe Dir die Dinge, die mich bewegen schon lange gesagt... Und ich habe gemerkt, daß es
mir nicht hilft, ohne(!) Dich Zeit verstreichen zu lassen und das ich(!) meine Fragen selber nicht beantworten
kann --- das(!) kannst nur Du!

Ich bin an diesem Freitag losgezogen und habe gehofft etwas über mich und mein Leben
herauszufinden --- aber das einzige, was ich begriffen habe ist, daß ich mit DIR reden muß, nur das kann
und wird mir weiterhelfen....

So denke ich, sollte ich diesen Strand verlassen und nach Hause fahren, denn die Nächte allein im Auto
sind so bedrückend --- und ich kann da nicht von Dir träumen.
Ich werde meinen kleinen braunen Teddybären hierlassen --- angelehnt an einen Strandkorb ---- so, wie
ich meine Reise einst begonnen habe. Ich hoffe, daß ihn jemand findet und ihn lieb hat, daß er nicht so
einsam an diesem Strand sitzen muß, wie ein gestürtzter Drache....., so wie ich...

Und so beende ich meine Reise in die Drachenwelt mit der Erkenntnis, daß es zwar kein Weg ohne
Ziel gewesen ist --- dieses kleine Ziel jedoch für mich kein Unbekannter
gewesen ist ---- es ist ---- war ---- DIE HOFFNUNG.......

Und so sage ich "Leb' wohl Strand ---- wenn wir uns das nächste Mal sehen, werde ich ein anderer sein......"